Das Hamburgische Kolonialinstitut

Ein Erfahrungsbericht
Daniel Kulle (2019): 8.2 Das Hamburgische Kolonialinstitut - Ein Erfahrungsbericht. Onlinekurs Dokumentarischer Film. Hrsg. Thomas Weber. Hamburg: AVINUS.
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Die entomologische Sammlung des CeNAK, Hamburg

Präsenz und Absenz im Dokumenarfilm – nicht nur eine Frage der Theorie

Die Frage der Präsenz und Absenz im dokumentarischen Film ist bei Weitem keine Frage, die nur im Theoretischen verhandelt wird. Vom Drehplan bis zum Schnittraum, ja bis zur Festivalbühne begleiten Fragen von Präsenz und Absenz die Filmschaffenden. Mal geht es um die Präsenz und Absenz von bestimmten Bildern, also ganz trivial um die Frage, ob man mit der Kamera bestimmte Bilder einfangen konnte oder das Archiv bestimmte Bilder verfügbar macht; mal geht es um die Frage der Absenz und Präsenz von Macht, sozialen Verhältnissen oder unsichtbaren Kausalitäten, die das, was wir in den Bildern sehen, prägen, ohne dass sie sich selbst dem Auge oder Ohr zu erkennen geben; und mal geht es auch um die Präsenz oder Absenz der Erzählerstimme, die Positionierung des Enunziators und die Frage der Selbstreflexion dieser Anwesenheit im Film.

Ich möchte diesen alltäglichen Umgang mit derartigen Fragen anhand eines Erfahrungsberichtes über ein eigenes Dokumentarfilmprojekt näher erläutern. Das Projekt, um das es geht, trägt den Titel Das Hamburger Kolonialinstitut. Die Universität Hamburg feiert 2019 das hundertjährige Jubiläum ihrer Gründung. Sie ist (durchaus zu Recht) stolz darauf, die erste Universitätsgründung im neuen, demokratischen Deutschland zu sein. Was sie dabei jedoch vergisst, ist ihre Vorgeschichte, die sie in vielen Teilen bis heute als düsterer Schatten begleitet.

Baakehafen (Collage, Daniel Kulle)

Ein Blick in die Vergangenheit

Die Hamburger Bürgerschaft hatte sich im 19. Jahrhundert immer wieder gegen die Gründung einer akademischen Universität gesperrt. Den Kaufleuten war eine Universität zu wenig an den praktischen Bedürfnissen des Handels- und Berufslebens ausgerichtet; sie schickten ihre Söhne (und fast nie ihre Töchter) lieber nach Übersee in die eigenen Kontore, damit sie dort vor Ort und von der Pike auf das Geschäft kennenlernen konnten. Den Sozialisten war die Universität ebenfalls suspekt, zu sehr hing an dieser Institution der Standesdünkel und Elitarismus einer vergangenen Epoche.

Nachdem sich 1870 die deutschen Kleinstaaten zum Deutschen Reich zusammengeschlossen hatten, stiegen sie bald schon in das ‘Projekt Kolonialismus’ mit ein. Im ‘Wettlauf um Afrika’, d.h. der imperialen Eroberung afrikanischer Reiche und Länder, teilten verschiedene europäische Länder, allen voran Großbritannien und Frankreich, den Kontinent unter sich auf. Deutschland zog ab den 1880er Jahren mit, vorangetrieben nicht zuletzt durch Hafenstädte wie Hamburg und Bremen, die sich durch den zunehmenden Protektionismus der Imperialmächte bedroht sahen.

Doch die deutsche ‘Aneignung’ eigener Kolonien verlief chaotisch: Aufstände und Widerstandskriege waren die Regel; die afrikanischen Kleinstaaten hatten, wider dem Erwarten der deutschen Eroberer, nicht auf die Herrschaft der Deutschen gewartet; die vermeintliche und sich vor allem selbst zugeschriebene ‘Zivilisiertheit’ der Eroberer wurde konterkariert durch Zwangsarbeit, das brutale Niederschlagen von Aufständen und schließlich dem ersten Völkermord der deutschen Geschichte, der Ermordung von Tausenden von Herero und Nama in Namibia.

Eigentlich war das 1911 eröffnete Gebäude gegenüber dem Dammtorbahnhof für das Allgemeine Vorlesungswesen errichtet worden, beheimatete jedoch von Beginn an auch das Hamburgische Kolonialinstitut. Acht Jahre später wurde es das Hauptgebäude der Universität Hamburg (Foto: Daniel Kulle).

Der Dokumentarfilm Das Hamburgische Kolonialinstitut möchte jedoch nicht nur diese düstere Vorvergangenheit der Universität Hamburg betrachten. Es geht ihm auch um die komplexen Verbindungen zwischen dem ‘Projekt Wissenschaft’ und dem ‘Projekt Kolonialismus’. Beide sind Kinder des 19. Jahrhunderts, beide sind ohne den anderen kaum zu denken: Ohne Geografie, Botanik oder Ingenieurswesen hätte es den Kolonialismus nicht geben können. Und ohne die Sammlungen und Entdeckungsreisen, die die koloniale Eroberung begleiteten, ohne die Akkumulation von Wissen aus anderen Ländern, wäre der Aufschwung der Wissenschaften wohl anders ausgefallen.

Verfügbarkeit von Bildern

Ein Dokumentarfilmprojekt wie dieses muss sich von Beginn an die Frage stellen, wie es an geeignete Bilder kommt. Die Bildersuche von Google ist zwar ein netter Ausgangspunkt für eine erste Recherche. Wirklich weiter hilft sie einem aber nicht. In den meisten Fällen wird man zu konkreten historischen Situationen oder Fragestellungen kaum etwas finden, zumal das öffentlich sichtbare Bildarchiv des Internets ein deutliches Bias in Richtung Nordamerika aufweist. Wenn sich doch einmal ein passendes Foto findet, ist man meist nicht der erste, der das Bild nutzt. Gerade die Einfachheit, mit der sie zu finden sind, führt dazu, dass solche Bilder meist schon so abgenutzt sind, dass die häufige Remediatisierung ihren Ursprungskontext gegenüber den remediatisierten Kontexten verblassen lässt. Im Extremfall hat man dann ein Simulacrum, dass nur noch auf andere Remediatisierungen verweist und kaum noch auf das historische Punktum, das man ja eigentlich behandeln wollte. Und in fast allen Fällen gehen im Netz die Metadaten der Bilder verloren: Was zeigt das Bild? In welchem Kontext ist es entstanden? Wer hat es fotografiert? Für die Quellenanalyse der Bilder sind diese Infos unabdingbar; im Netz findet man sie aber nur selten.

Bleibt also nur der Gang in die Archive: private Archive von Experten oder Zeitzeugen, wenn man solche denn finden kann; vor allem aber die Foto- und Filmarchive von Museen oder Staatsarchiven. Hier stellen sich jedoch ganz andere Schwierigkeiten: Ist das Archiv überhaupt zugänglich? Darf ich selbst in dem Material recherchieren oder muss ich mich mit einem Findbuch (elektronisch oder in Papierform) begnügen, um dann gezielt Fotos anzufragen? Ist der Bestand des Museums aufgearbeitet, d.h. mit Metadaten versehen und in einem Findbuch verzeichnet? Viele Bestände in Museen sind es nämlich nicht, so dass ein gezieltes Suchen fast unmöglich ist und man tatsächlich ganze Stapel und Kisten durcharbeiten muss, um etwas zu finden. Gerade Letzteres ist allerdings nicht nur zeitaufreibend, sondern auch unglaublich spannend, weil sich bei diesem Stöbern Zufallsfunde ergeben, an die man vorher gar nicht gedacht hatte.

Im Fotoarchiv des Museums am Rotherbaum (Foto: Daniel Kulle)

Limitierender Faktor bei der Archivarbeit wird jedoch schnell auch das Geld. Die Einbindung von Bildern in einen Film kostet in der Regel Geld. Selbst Recherche kostet manchmal etwas. Und nicht zuletzt kostet auch die Anreise zum Archiv. Bei dem Mikrobudget, das für dieses Dokumentarfilmprojekt zur Verfügung stand, waren Archive außerhalb Hamburgs, die keinen Katalog im Netz zur Verfügung stellen, daher erst einmal ausgeschlossen. Bei gezielten Anfragen kann man natürlich auch einmal per Mail nachfragen. Ungezielte Anfragen sollte man so aber nicht stellen. Die Präsenz und Absenz von Bildern in einem Dokumentarfilmprojekt wird jedoch schnell auch eine Frage der Präsenz oder Absenz von Produktionsgeldern.

Zeigen oder nicht zeigen?

Genauso wie eine Filmwissenschaftler:in sich bei Dokumentarfilmen, die andere Quellen remediatisieren, einer Quellenkritik widmen sollte, sollten dies im Idealfall auch die Filmemacher*innen tun, die diese Quellen in ihren Film einbetten. In welchem medialen Milieu ist dieses Bild entstanden? Was zeigt es mir eigentlich? Und was zeigt es mir eben auch gerade nicht? Was ist bewusst ausgeschlossen worden?

Im Kontext des Kolonialismus/Postkolonialismus ergibt sich eine weitere Schwierigkeit: Denn Kolonialismus und gerade die ihm zugrundeliegende Ideologie des Rassismus sind Bild-Ideologien. Der Rassismus funktioniert dadurch, dass er eine menschenverachtende Hierarchisierung zwischen einzelnen Individuen an bestimmte Bilder knüpft: Wer visuell anders ist, wird als weniger menschlich deklariert und darf unterworfen werden. Diese Bildlichkeit des Rassismus funktioniert dabei in ganz verschiedenen Bild-Dispositiven: In der Wissenschaft genauso wie in der Unterhaltung werden im 19. Jahrhundert plötzlich Bilder entworfen, die eine rassistische Trennung der Menschheit in ‘Zivilisierte’ und ‘Unmenschen’ postulieren.

Durch diese enge Verknüpfung von Rassismus und Bild ist eigentlich allen Bildern aus diesem Kontext ein colonial gaze eingeschrieben. Unabhängig davon, was die Bilder zeigen, ist das mediale Milieu der ‘Kolonialfotografie’ ein rassistisches und kolonialistisches Dispositiv, in dem die Fotografien überhaupt erst dadurch entstehen konnten, dass bestimmte Länder als Kolonien unterworfen wurden. Die Abbildung von Menschen diente als Instrument der Sichtbarmachung, Ein- und Unterordnung, Objektivierung, als panoptisches Dispositiv, wie es bei Foucault beschrieben ist. Manche dieser Bilder zeigen Grauen und Verstümmelung; manche zeigen die rassistische Erniedrigung; doch selbst bei solchen, die aus heutiger Sicht vielleicht harmlos wirken, wäre es falsch zu vergessen, wie mit ihnen umgegangen wurde; wie sie genutzt wurden, um den rassistischen Blick auf die Welt zu verbreiten.

Allein die Überlieferungsgeschichte dieser Bilder spricht ja Bände: Es sind keine unabhängigen Institutionen, die diese Bilder bis in die Jetztzeit aufbewahrt haben. Es sind die Museen, Universitäten und Staatsarchive, die selbst als Täterinstitutionen in das Projekt Kolonialismus involviert waren. Aus ihnen stammt die Idee von ‘Völkern ohne Geschichte’ oder ‘Menschen ohne Zivilisation’. In ihnen wurden die Menschen zu Untersuchungs- und Ausstellungsgegenständen objektiviert.

Die Frage bei all diesen Bildern ist also, wie man sie remediatisieren, in einen Film einbinden kann, ohne diese Machtverhältnisse zu reproduzieren oder zu verharmlosen. Diese Bilder sind durchtränkt von einem colonial gaze, den man so einfach nicht loswird. Und ein weiteres Problem: Durch die den Bildern eingeschriebene Machthierarchie werden die Kolonisierten stets zu Opfern. Selbst wenn ich also die Machtverhältnisse kritisch hinterfrage, sie entlarve und aufzeige, um zu zeigen, mit welcher Brutalität der Kolonialismus Menschen unterwarf, reproduziere ich dadurch doch wieder nur die Opferposition der abgebildeten Leute.

Die Missionarin und Fotografin Alice Seeley Harris hat um die Jahrhundertwende die Massaker beobachtet, mit denen die belgische Kolonialbesatzung die Bewohner des Kongos zur Arbeit in den Kautschukplantagen zu zwingen versuchten. In einem Artikel auf vice.com zeigt Rachel S. Hamilton eine Reihe dieser Bilder: Hamilton, Rachel S. (11.02.2015). “The Century-Old Photos That Exposed the Evils of Colonialism in Africa”. (Achtung! Darstellung von Gewalt.)

Dekonstruieren von Bildern

Aus der Eigennützigkeit des Filmemachers, der einen Dokumentarfilm produzieren möchte, gehe ich natürlich davon aus, dass es trotzdem sinnvoller ist, Bilder zu zeigen als nicht zu zeigen. Doch sollte man sich bei jedem Bild, das man übernimmt, fragen, was man da eigentlich tut. Unbesonnene ‘Bebilderung’ eines Themas, einer Frage, eines Arguments, wie man es so häufig im Dokumentarfilm findet, kann hier gefährlich werden.

Glücklicherweise hat gerade der künstlerische, experimentelle Dokumentarfilm einige Gegenstrategien entwickelt, wie Bilder ‘dekonstruiert’ werden können, wie wir das Dispositiv, das zu ihrer Entstehung geführt hat, zwar nicht sichtbar, aber doch zumindest als Widerstand spürbar werden lassen. Auf diese Weise mag uns die Rezeption des Bildes nicht mehr ganz so einfach gelingen, als wenn es als Teil einer glatten Bildstrecke über uns hinwegschwimmt. Ziel ist es also, das Nicht-Zeigen des Bildes zu zeigen: Was macht das Bild unsichtbar, wenn es sich als sichtbarer Teil der Welt präsentiert? Was schließt es aus? Was wird nicht erwähnt?

Eine erste dieser künstlerischen Strategien ist natürlich das Offenlegen des technischen wie ästhetischen Bilddispositivs: Die Bilder können so gealtert sein, dass ihre Materialität allein schon darauf verweist, dass es hier ein technisches Dispositiv gibt. Das ‘Fenster zur Welt’, die verlockende Metapher von Film und Fotografie, ist hier quasi zerborsten, zerkratzt und verschimmelt. Man kann die ‘normale’ Zeitlichkeit von Fotografie im Film irritieren, in dem Bilder ‘zu lange’ stehen gelassen werden. Susana Sousa Dias macht dies beispielsweise in ihrem Film Luz Obscura (P 2017) über die politischen Gefangenen der portugiesischen Diktatur.

Eine zweite Strategie besteht im Aufspüren von Widerständigkeiten im Bild. Keine Macht, auch nicht die des colonial gaze, ist total. Fotografierte haben, auch wenn das Bilddispositiv mit gewissem Erfolg versucht, sie zu objektivieren, eine eigene Agency, die sich oftmals im Bild aufspüren lässt. Sie inszenieren sich in den ihnen gegebenen Grenzen selbst, schauen zurück oder entziehen sich gar dem Bild, zeigen sich gelangweilt oder unfreundlich. Selbstverständlich sind dies Widerständigkeiten auf der Mikroebene der Macht. Doch sie zeigen auf, dass die Unterordnung nie eine selbstverständliche ist, dass sie erzwungen werden muss, und dass sie eben auch abgeschafft werden kann. Mit Vergrößerungen, die Ausschnitte und vermeintliche Nebensächlichkeiten des Bildes fokussieren, kann man solche Widerständigkeiten entdecken. Oder man sucht sich den ‘Ausschuss’ der Kolonialfotografien, diejenigen, die nicht in die ideologische Rhetorik des Rassismus passen, in denen die Fotografierten sich ihrer Unterordnung für einen Moment entziehen konnten.

Man kann natürlich auch, das wäre die dritte Strategie, als Filmwissenschaftler und Filmemacher in Personalunion über die Bilder sprechen, sie mit Hilfe der Stimme oder der Montage hinterfragen. Der Modus Farocki/Bitomsky, quasi. Mit Hilfe einer Stimme kann man auf die Leerstellen des Bildes hinweisen, die Dinge, die das Bild explizit ausschließt, die es nicht zeigen möchte oder nicht zeigen kann. Als autoritäres Voice-over gerät die Stimme jedoch schnell in die Gefahr, die koloniale Position des weißen Europäers, der hier, als Wissende:r und Erklärende:r, ‘objektiv’ auf seinen Gegenstand blickt, zu reproduzieren. Die Leute selbst zu Wort kommen zu lassen, ist – zumindest bei einem Film über den Kolonialismus der Jahrhundertwende – nicht direkt möglich. Allenfalls über andere Medien wie Brief oder Tagebuch wäre das möglich, doch kommen diese mit ihren eigenen dispositiven Machtverschiebungen, die dann berücksichtigt werden müssen. Die Anwesenheit der Stimme des Filmemachers ist also, selbst bei allen Gegenstrategien, nur schwer zu konterkarieren, fehlen doch die Stimmen aus der Vergangenheit. Meine Lösung für dieses Filmprojekt: möglichst viele Stimmen, Quellen und Sichtweisen zu einem polyphonen Gewebe vernähen; und sich selbst als Enunziator nicht zurücknehmen, sondern ironisieren, die Widersprüchlichkeit der eigenen Position als Filmemacher zu reflektieren, der weder als Kolonisierter noch als ‘objektiver Beobachter’ einen Film über den Kolonialismus machen möchte.

Literatur

Foucault, Michel (1975). Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M.: Suhrkamp