Moorland

Gestatte mir untertänigst mitteilen zu dürfen: Die Siegeslinden sind gepflanzt, die Finanzen stehen hoch, die Jugend ist zum Abmarsch bereit. Aaachtung! Rammel! Schnallenreiber! Gottlose Nihilisten! Auf, auf! Die Parole lautet: Sieg des Sommers!

Norddeutschland, Mitte der 1950er. Eine karge, windige Moorlandschaft. Man verdrängt den Krieg. Man verdrängt die Vergangenheit. Als der schwule Schriftsteller und Bohémien Emil, der 1933 nach Frankreich geflohen war, wieder ins Moor zurückkehrt, hat hier keiner auf ihn gewartet.

Doch Emil hat noch etwas abzuschließen. Denn als er geflohen war, hatte er seine Jugendliebe Heinrich zurückgelassen. Und während er nun durch das Dorf streift, kommt alles wieder zurück: die Erinnerung an Heinrich. Die Erinnerung an die wilde Lebensreform-Kommune, die Heinrich mit einigen Freunden gegründet hatte. An Lilly, die für eine Weile Teil ihrer Beziehung war. Und an die politischen Konflikte der 1920er, die das alles, die Kommune und ihre Beziehung, wieder haben auseinanderbrechen lassen.

Und er erinnert sich an das dunkle Geheimnis, über das im Dorf nicht gesprochen werden darf: Wie nämlich die SA eines Tages mit Unterstützung der Dorfbewohner die Kommune überfällt und Heinrich fast totschlägt.

Im Dorf reagiert man mit Abwehr und Drohungen auf Emils Wühlen in der Vergangenheit. Immer näher rückt die Gewalt, bis sich schließlich Emil und die Dorfbewohner Aug in Aug gegenüberstehen.

© Daniel Kulle 2022
108 Seiten
Status: Drehbuch, Verfügbar

Gefördert von
Dramaturgische Beratung: Marcus Stiglegger

Statement des Regisseurs

"Die 1920er haben mich als Jahrzehnt des Aufbruchs immer schon fasziniert. Da zieht eine ganze Jugend, angeekelt von Industrialisierung und Krieg, in die Natur, wirft ihre Uniformen ab und übt sich im wilden Denken. Frauen schneiden sich die Haare kurz und fordern Gleichberechtigung. Schwule, Lesben und Transsexuelle erheben ihre Stimme. Arbeiter träumen von neuen Formen des gesellschaftlichen Zusammenseins.

Doch ist es eine widersprüchliche, gebrochene Zeit: rätedemokratische Genossenschaftler:innen und Blut-und-Boden-Fanatiker:innen, religiöse Gurus, Sportfans und liberale Nacktbadende — sie alle beanspruchen die Deutungsmacht über die neue Gesellschaft. Und nicht immer lassen sich die Grenzen zwischen diesen Gruppen sauber ziehen.

Auch Emils Geschichte ist eine der Zerrissenheit: zwischen seinem Schwulsein und seinem Arbeitersein, zwischen der bürgerlichen Emanzipationsbewegungen der Lebensreformer und queeren Aktivisten auf der einen, den Kommunisten und Sozialisten auf der anderen Seite.

Moorland ist für mich die Geschichte eines verlorenen utopischen Moments. Ein Erinnern an eine Situation, in der sich eine ganze Gesellschaft aufmacht, sich neu zu erfinden, nur um damit (wie wir heute wissen) fundamental zu scheitern.

Der Film erzählt seine Geschichte auf zwei Zeitebenen, um auf diese Weise den Verlust des utopischen Moments zu verdeutlichen. Denn erst in ihrem Wechsel zwischen bedrohlicher Film-Noir-Ästhetik (1950er) und fröhlich-bunter Leichtigkeit (1920er) erlauben sie es, der jeweils anderen Seite den Spiegel entgegenzuhalten, ohne in reine Nostalgie zu verfallen.

Schnell stand für mich fest, dass die Geschichte im Moor spielen muss. Nicht nur, weil die 1920er viel zu häufig als Großstadtgeschichte erzählt werden, während das Land als reaktionäre Kulisse herhalten muss. Das Moor ist hier ein gruseliger Ort, ein Ort des widerständigen Überlebens in einer lebensfeindlichen Umgebung, ein Spiegel von Emils Psyche. Es ist aber auch ein amphibischer Ort, weder Wasser noch Land, ein "queerer" Ort voller Protomaterie und Matsch. Es sind die Ausgestoßenen und Verbrecher, die sich hier, am Rande der Natur, am Rande der Gesellschaft, versammelt haben. Und sie sind es, die mit ihrer eigenen De-Formation die Hoffnung aufkeimen lassen auf etwas Neues.

Beide Figuren des Films, Heinrich und Emil, scheitern an diesem Neuen, und sie scheitern auf ihre ganz eigene Weise. Der eine, in dem er einen unmöglichen Rückzugsort zu schaffen versucht, einen Safe Space, in dem er sich frei ausleben kann; der andere, in dem er immer weiter flüchtet, rastlos und verfolgt. Doch dass sie immer wieder scheitern, dass die Geschichte ihren Hoffnungen immer wieder etwas entgegenstellt, beirrt sie nicht. Leute wie Heinrich und Emil hören nicht auf, zu träumen."

Moorland
2022